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230.Jahrestag der polnischen Verfassung – 3.05.1791. Im Gegensatz zu anderen Ländern Europas entwickelte sich Polen nicht zur absoluten Monarchie, sondern zu einem System aus Wahlmonarchie & Republik

Düsseldorf (ots) – Die Tradition der Freiheit

Die Verfassung vom 3. Mai 1791 ist als das zweite – nach dem amerikanischen – niedergeschriebene Grundgesetz und als ein großer Freiheitsakt der Epoche des ausgehenden 18. Jahrhunderts in die Geschichte eingegangen. Sie strukturierte die Grundsätze der staatlichen Verfasstheit und stellte gleichzeitig fest, dass „jede Gewalt in der menschlichen Gesellschaft aus dem Willen der Nation entspringt“. Die Verfassung verkündete gleiche Rechte für alle Staatsbürger, auch wenn sie noch nicht alle Einwohner Polens zu Staatsbürgern machte. In Bezug auf den Wandel der ständischen Gesellschaftsform war sie vorsichtig, was in einer revolutionären Epoche, als bald versucht werden sollte, die Gleichheit auch mit der Guillotine einzuführen, als vorteilhaft galt. Sie garantierte bürgerliche Freiheiten: „Daher verehren, verbürgen und bestätigen wir die persönliche Sicherheit und alles irgend Jemandem rechtmäßig zukommende Eigenthum, als das wahrhafte Band der Gesellschaft, als den Augapfel der bürgerlichen Freiheit, und wollen sie auch als solche für die künftigen Zeiten verehrt, verwahrt und unverletzt erhalten haben.“

Im Gegensatz zur amerikanischen Verfassung stellte sie allerdings keinen Staatsgründungsakt dar, in dem eine werdende Nation sich selbst Grundrechte verlieh. Ein derartiger Gründungsakt war im Falle Polens die Union von Lublin 1569. Und eben sie kann als die erste polnische Verfassung angesehen werden, denn sie schuf eine neue politische Einheit, die Rzeczpospolita, und legte die Grundsätze fest, wie diese regiert werden sollte. Auch sie war aber eigentlich nur eine Bilanz der einzelnen Etappen eines bereits lange währenden Zusammenwachsens des Königreichs Polen und des Großherzogtums Litauen.

Im Gegensatz zu anderen Ländern Europas entwickelte sich Polen nicht von einer Stände- zur absoluten Monarchie, sondern zu einer Rzeczpospolita, einem gemischten System aus Wahlmonarchie und Republik, wo etwa zehn Prozent der Bevölkerung berechtigt waren, den König und ihre Vertreter für den Sejm (Reichstag) und die Kreistage zu wählen.

Der Begriff der Freiheit, der in dieser territorial ausgedehnten Rzeczpospolita beider Nationen, wie sie genannt wurde, vorherrschte, ähnelte jenem, den die Ideenhistoriker in den italienischen Stadtrepubliken vorfanden. Die Bürger Polen-Litauens verglichen ihren Staat gern mit der antiken römischen Republik. Der Staat war nach ihrem Verständnis kein „Leviathan“, d. h. kein über die politische Nation erhobenes Gebilde, sondern eine „gemeinsame Angelegenheit“, die sich auf gemeinsames Handeln stützte. Die Freiheit wurde nicht nur als Freiheit des Einzelnen verstanden, sondern als die Möglichkeit, gemeinsam über gesetzte Rechte zu entscheiden. Es gab in Polen keine Inquisition, keine Verfolgung von Andersgläubigen – erst in Reaktion auf den verheerenden Überfall durch das protestantische Schweden 1655 wurde die Toleranz allmählich eingeschränkt. Die Bürger der Rzeczpospolita waren – und das kann ohne Übertreibung gesagt werden – die freiesten Menschen in Europa. Und für solche hielten sie sich auch. Aus ihrer Sicht waren absolute Monarchien keine freien Länder, sondern abschreckende Beispiele für die Versklavung, wo keine Meinungsfreiheit herrschte, wo ein Adliger ohne Gerichtsurteil ins Gefängnis geworfen werden konnte und die Regierung in die Wirtschaft eingriff.

Für die intellektuellen Größen Europas im 18. Jahrhundert wie Diderot oder Voltaire, für Verehrer aufgeklärter Despoten wie Katharina II. oder Friedrichs des Großen, war diese polnische Freiheit ein Exzess, etwas Vernunftwidriges. Auch Kant klagte, Polen sei ein Land, wo jeder Herr und keiner Untertan sein wolle. Gleichzeitig wurde den Polen vorgehalten, dass diese Freiheit nur für einen Stand gelte, und zwar für den Adel.

Das polnische Experiment mit der Freiheit wurde tatsächlich immer riskanter und stellte schließlich eine Bedrohung für den Fortbestand des Staates dar. Dieses System verlangte von den Staatsbürgern viele Tugenden, damit die Freiheit nicht in Willkür und Anarchie ausartete. Die Verfassung vom 3. Mai war ein Versuch, die staatliche Steuerbarkeit wiederzuerlangen und sollte zugleich den Staat vor einem Überfall von außen wie auch vor innerem Zerfall schützen. Sie schränkte die Freiheit ein, um sie zu bewahren: Sie führte die Erbmonarchie ein, entzog dem besitzlosen Adel seine politischen Rechte und erweiterte die Rechte der Städter.

Jene, die sich gegen die Verfassung stellten und Zarin Katharina II. um ein Eingreifen baten, beriefen sich auf „Kardinalrechte“ und althergebrachte Freiheiten. Aus Angst vor einem angeblichen inneren Despotismus appellierten sie an die größte Despotie Europas. Fremde Heere – das preußische und das russische – stellten bereitwillig „die Ordnung“ und die „Rechtsstaatlichkeit“ wieder her und zerstörten diesen einzigartigen Raum der Freiheit.

Hätte die Rzeczpospolita überlebt, wäre die Geschichte Europas anders verlaufen: Die Traditionen des klassischen Republikanismus wären nicht so leicht in Vergessenheit geraten, der russische Despotismus wäre außerhalb seiner Grenzen geblieben, und der preußische Militarismus wäre gebändigt geworden. Nach dem Verlust der Unabhängigkeit und im Klaren darüber, dass ohne sie auch keine volle persönliche Freiheit möglich ist, stritten die Polen das ganze 19. Jahrhundert hindurch für ihre Wiedererlangung ein, angefangen mit dem Kosciuszko-Aufstand 1794. Dieses polnische Bekenntnis zur Freiheit offenbarte sich auch im 20. Jahrhundert: 1920 bei der Abwehr des Vormarsches der Bolschewiken nach Europa, 1939 im bewaffneten Kampf gegen das Dritte Reich, 1980 bei der Entstehung der „Solidarnosc“ und 1989 – bei der Überwindung des Kommunismus.

Prof. Zdzislaw Krasnodebski, Soziologe, Philosoph, ehem. stell. Vorsitzender des Europäischen Parlaments

Der Text wurde zeitgleich mit der polnischen Monatszeitschrift „Wszystko co Najwazniejsze“ in Zusammenarbeit mit dem polnischen Nationalen Gedächtnisinstitut und der KGHM veröffentlicht.

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Andrzej Kolinski
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